Nach achtmonatigen Verhandlungen haben sich SPD, CDU und FDP im Bezirk Hamburg-Nord am 1. Mai 2025 auf einen Koalitionsvertrag für die Legislaturperiode 2024–2029 verständigt. Dies geschah trotz grüner Stimmenmehrheit bei der Bezirkswahl am 9. Juni 2024 – Wahlergebnis 2024: GRÜNE 27,9 %, SPD 23,4 %, CDU 19,3 %, Die Linke 7,6 %, FDP 7,2 %, Volt 6,1 % (Quelle).
Der vollständige Koalitionsvertrag 2024–2029 für Hamburg-Nord (ursprünglich veröffentlicht auf nord.spd-hamburg.de) zum Nachlesen – siehe unten.
Verkehrspolitik im Koalitionsvertrag 2024–2029 im Bezirk Hamburg-Nord: Entpolitisierung statt Mobilitätswende
Der Koalitionsvertrag enthält keinen einzigen Hinweis auf eine strategisch gewollte Mobilitäts- oder Verkehrswende. Die Begriffe selbst fehlen. Die Verkehrspolitik wird nicht mit Klimazielen oder stadtweiten Transformationsprozessen verbunden, sondern über Begriffe wie „sicher“, „fair“ und „nachhaltig“ technokratisch aufgeladen. Die in Hamburg und bundesweit einst geführte Debatte um die Mobilitätswende wird im Bezirk ausgeklammert. Damit fehlt nicht nur der politische Wille zur Umgestaltung der Infrastruktur – auch der sprachliche Rahmen, in dem solche Veränderungen angegangen werden könnten, wurde aktiv ausgeblendet.
Umweltverbund nur symbolisch. Vorrang fürs Auto.
Zwar bekennt sich der Vertrag formal zum Umweltverbund (Fuß-, Rad-, Bus- und Bahnverkehr), doch gleichrangig werden die vermeindlichen Bedürfnisse Auto fahrender Menschen betont. Die Formulierung „alle Menschen sollen sicher und bequem unterwegs sein – egal, ob zu Fuß, mit dem Rad, dem Auto oder dem ÖPNV“ stellt keine Priorisierung her. Der Verkehrsfluss auf Hauptstraßen wird ausdrücklich verteidigt, um „das möglichst staufreie Vorankommen“ zu sichern. Mit anderen Worten: An der Dominanz des Autoverkehrs wird festgehalten.
Die genannten Maßnahmen zur Förderung nachhaltiger Mobilität bleiben unverbindlich, kleinteilig oder konditional:
- Taktverdichtung der U1, konstruktiv-kritische Begleitung der U5
- zwei (!) Pilotstrecken für baulich getrennte Radwege nach dem Kopenhagener Modell
- On-Demand-Angebote für Randlagen
- Prüfung einer Alsterfähre
- digitale Auffindbarkeit von Radrouten
- Verbesserung von Abstellanlagen und Stadtrad-Ausbau
Es handelt sich um Einzelmaßnahmen ohne Strukturwirkung – keine dieser Maßnahmen greift in die Flächenverteilung zugunsten des Umweltverbunds ein. Der Umweltverbund darf existieren, solange er nicht stört.
Parkraum: Schutz statt Umverteilung
Am deutlichsten wird die Gegenposition zur Mobilitätswende in der Parkraumpolitik:
- Ein Moratorium für neue Bewohnerparkzonen wird ausgesprochen.
- Die bestehende Entwicklung wird aktiv rückabgewickelt: „Die Politik der alten Bezirksamtsleitung, sinnlos Parkplätze zu vernichten, beenden wir.“
- Ein bezirkliches „Parkplatzmonitoring“ wird eingeführt – angeblich zur Versachlichung der Planung, de facto zur Absicherung des Status quo.
- Gewerbe- und Kurzzeitparkplätze sollen explizit erhalten bleiben.
- Quartiersgaragen werden nur als zusätzliche Lösung betrachtet, nicht als Instrument zur Umverteilung von öffentlichem Raum.
Damit wird jeder ernsthafte Eingriff in die überprivilegierte Stellung des Autos im Straßenraum blockiert. Eine zentrale Voraussetzung der Mobilitätswende – die Neuaufteilung von Fläche – wird im Vertrag nicht nur ignoriert, sondern konterkariert.
Unverbindlichkeit durch Sprache
Zahlreiche Formulierungen unterlaufen jede politische Verbindlichkeit:
- „keine One-size-fits-all-Lösungen“
- „wo es sinnvoll ist“
- „wo es passt“
- „wir prüfen“, „wir evaluieren“
Beispiele:
- Fahrradstraßen sind laut Vertrag „wo es passt“ sinnvoll – andernorts nicht. Diese scheinbar pragmatische Formulierung erlaubt faktisch jede Ablehnung.
- Tempo 30 wird auf Schutzräume wie Schulen und Pflegeheime begrenzt. Eine flächendeckende Einführung in Quartieren wird nur vage angedeutet („wir prüfen“).
- Die neuen Spielräume der Straßenverkehrsordnung (StVO-Novelle) werden nicht genutzt, sondern in ergebnisoffene Prüfverfahren ausgelagert.
Evaluation ersetzt Entscheidung: Bewohnerparken, Ampelkonzepte, Schulwege, Kreisverkehre – alles wird unter Vorbehalt gestellt. Das macht verkehrspolitischen Fortschritt nicht nachvollziehbarer, sondern unwahrscheinlicher.
Strukturkonservierung statt Transformation
Im Ergebnis entsteht keine zukunftsgerichtete Verkehrspolitik, sondern ein fein austariertes Rückzugsgefecht zur Verteidigung des Status quo. Der Vertrag organisiert keine Umverteilung, sondern stabilisiert bestehende Machtverhältnisse im Straßenraum. Er greift auf die Sprache der Modernität zurück – Sicherheit, Transparenz, Bürgerbeteiligung, Nachhaltigkeit – ohne diese Begriffe mit inhaltlicher Substanz zu füllen. Fortschrittliche Maßnahmen werden systematisch relativiert, sobald sie mit dem Autoverkehr, wirtschaftlichen Interessen oder vage formulierten Anliegerbedenken kollidieren.
Fazit
Dieser Koalitionsvertrag ist kein Beitrag zur Mobilitätswende, sondern ihre strategische Entpolitisierung. Die Mobilitätswende fehlt nicht versehentlich – sie wird vermieden. Der Umweltverbund wird erwähnt, aber nicht priorisiert. Die Parkraumpolitik wird zur Verteidigung bestehender Flächennutzung instrumentalisiert. Die Sprache der differenzierten Quartiersbetrachtung dient als Legitimationsmittel für Rückschritt. Wer den Vertrag liest, erkennt: Eine Verkehrswende ist mit dieser Koalition nicht zu erwarten. Sie wird – sprachlich und politisch – blockiert.
Der vollständige Koalitionsvertrag 2024–2029 für Hamburg-Nord (ursprünglich veröffentlicht auf nord.spd-hamburg.de) zum Nachlesen steht hier bereit:

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