Am 12. Dezember 2024 wählte die Bezirksversammlung Hamburg-Nord Dr. Bettina Schomburg (SPD) zur neuen Bezirksamtsleiterin – mit den Stimmen von SPD, CDU, FDP und Volt. Diese Wahl war mehr als nur ein Personalwechsel. Sie war Ausdruck eines politischen Richtungswechsels – und sie war mit der Frage verbunden, welchen Stellenwert die Mobilitätswende in Hamburg-Nord künftig noch haben sollte.
Machtpolitische Allianzen gegen den Wahlausgang
Dabei hatte die Bezirkswahl im Juni 2024 ein klares Ergebnis gebracht: Die Grünen gingen mit 27,9 % als stärkste Fraktion aus der Wahl hervor, vor der SPD mit 23,4 %. Dennoch entschied sich die SPD Hamburg-Nord, den bisherigen Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz (Grüne) aus dem Amt zu drängen – und tat dies mithilfe eines Bündnisses bestehend aus CDU, FDP und Volt.
Bemerkenswert ist die Historie dieser Allianz: Dass die SPD ausgerechnet mit der CDU Hamburg-Nord unter Christoph Ploß zusammenarbeitet, markiert einen Bruch. Sie arbeitet nun nämlich mit einem Politiker zusammen, den sie jahrelang aus guten Gründen politisch bekämpfte:
Ploß steht wie kaum ein anderer für eine Politik, die sich gegen zentrale Elemente progressiver Stadtentwicklung richtet. Er agitiert seit Jahren gegen die Unterbringung geflüchteter Menschen in Hamburg und sorgte im Sommer 2024 durch umstrittene Äußerungen am Jungfernstieg für Aufsehen, die von vielen als rassistisch kritisiert wurden. Immer wieder verwendet er den Begriff „Ideologie“, um Grüne und Linke zu diskreditieren – offenbar ohne Kenntnis darüber, dass „Ideologie“ nichts per se Schlechtes ist. Im Bundestag bringt er es fertig Autobahnbau mit Klimaschutz gleichzusetzen. Kürzlich setzte sich Campact gerichtlich erfolgreich gegen Falschaussagen durch: Ploß hatte fälschlicherweise behauptet, die Bundesregierung würde der Organisation Steuergelder zuschustern. Seine Social-Media-Profile wirken mitunter wie eine Aneinanderreihung hetzerischer Angriffe – häufig etwa gegen den Gebrauch geschlechtergerechter Sprache.
Kurzum: Ploß steht mit seiner politischen Agenda nah am rechts-populistischen Rand. Und mit ihm an der Spitze der CDU Hamburg-Nord ließ sich Dr. Bettina Schomburg zur Bezirksamtsleiterin wählen. Das politische Signal spricht Bände – auch in Bezug auf die Entwicklung der SPD selbst.
Die Verkehrspolitik im Wahlkampf: Vom Richtungsstreit zur Richtungsänderung
Die Abwahl von Werner-Boelz fiel in eine Phase, in der sich die verkehrspolitischen Linien in Hamburg neu sortierten. Im August 2024 erschien ein Interview mit SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf im Hamburger Abendblatt, das gewissermaßen den Auftakt zum Bürgerschaftswahlkampf 2024/ 2025 markierte. Darin deutete sich bereits an, dass die SPD ihr verkehrspolitisches Profil deutlich Auto-orientierter schärfen wird.
Was folgte, war ein verkehrspolitischer Wettstreit zwischen SPD und CDU, der die eigentlich notwenige Diskussion über die Umsetzung der Verkehrswende an den Rand drängte. Wer bietet mehr Parkplätze? Wer schützt den Autoverkehr besser? Anfang Dezember 2024 veröffentlichte die SPD Hamburg ihr Wahlprogramm: Der angekündigte „Masterplan Parken“ und das „Parkplatzmoratorium“ wurde politische Realität. Die Mobilitätswende – und diese ist gleichbedeutend mit der Flächenumverteilung zugunsten des Umweltverbundes – als politische Leitlinie ist bei der SPD Hamburg seither nicht mehr erkennbar.
Ein Richtungswechsel mit praktischen Folgen
In diesem Licht bekommt die Abwahl von Michael Werner-Boelz als grünem Bezirksamtsleiter in einem von sieben Hamburger Bezirken eine neue Bedeutung. Werner-Boelz stand in seiner Amtszeit für eine konsequente Verkehrswende. Sein besonderes Engagement galt dem Fußverkehr – einem Thema, das häufig im Schatten von Rad- oder Autoverkehr steht, aber essenziell für eine lebenswerte Stadt ist.
Mit dem Machtwechsel im Bezirk Hamburg-Nord änderte sich die inhaltliche Ausrichtung spürbar – und zwar noch bevor eine gültige Koalitionsvereinbarung auf Bezirksebene vorlag. Die Wahl von Dr. Schomburg im Dezember 2024 erfolgte ohne formalen Koalitionsvertrag, der erst im Mai 2025 veröffentlicht wurde – also erst acht Monate nach der Bezirkswahl und sogar nach Abschluss der dazwischen liegenden Koalitionsverhandlungen auf Landesebene.
In der Zwischenzeit wurden in den Ausschüssen der Bezirksversammlung Hamburg-Nord Fakten geschaffen:
- Veloroute 6 (Uhlenhorst): Die Planung wurde nach fast fünf Jahren kurz vor dem Baustart gestoppt.
- Louis-Braille-Platz (Borgfelde): Die geplante Entsiegelung wurde nahezu gestoppt, zugunsten von zwei Pkw-Stellplätzen – zulasten von 14 Fahrradstellplätzen.
- Radroute Plus in Langenhorn: Die Planung liegt auf Eis. Dabei handelt es sich um eine zentrale Verbindung in den Norden Hamburgs.
- Grünzug Jarrestadt (Winterhude): Geplante Maßnahmen rund um Semperplatz und Hölderlinsallee wurden verschoben, obwohl sie bereits ausgereift waren.
Diese Entscheidungen zeigen, dass die politische Verschiebung konkrete Auswirkungen auf die Stadtgestaltung hat – ob mit oder ohne Koalitionsvereinbarung auf Bezirksebene.
Zivilgesellschaftlicher Protest blieb die Ausnahme
Öffentlicher Widerstand blieb weitgehend aus. Der einzige nennenswerte Protest kam aus der Zivilgesellschaft: Am 6. Dezember 2024 veröffentlichte ein breites Bündnis einen gemeinsamen Appell für die Fortführung der Mobilitätswende in Hamburg-Nord. Der Aufruf richtet sich gegen die Wahl von Dr. Bettina Schomburg als Bezirksamtsleiterin. Unterzeichnende waren unter anderem ADFC Hamburg, VCD Nord, Parents for Future, NABU Hamburg, FUSS e. V., Greenpeace Hamburg [Quelle: taz, 6.12.2024] Doch die politische Mehrheit agierte weitgehend unbeirrt weiter.
Fazit: Eine Entscheidung mit Langzeitwirkung
Der Koalitionsvertrag 2024 – 2029 für den Bezirk Hamburg-Nord zementiert, was die politischen Entwicklungen des Jahres 2024 bedeuten: Der Begriff „Mobilitätswende“ wurde vollständig aus der neuen Bezirkskoalitionsvereinbarung gestrichen! Stattdessen rückt das Auto wieder ins Zentrum der verkehrspolitischen Bemühungen. Die strategische Neuausrichtung der SPD – sowohl auf Landes- als auch auf Bezirksebene – hat damit sichtbare Spuren hinterlassen.
Die Wahl von Dr. Bettina Schomburg war der sichtbare Ausgangspunkt einer Entwicklung, die über Personalfragen hinausgeht. Die SPD Hamburg-Nord und Dr. Bettina Schomburg stehen für eine Politik, die sich von der Mobilitätswende verabschiedet haben. Hierfür waren sie bereit, politisch höchst umstrittene Allianzen einzugehen.

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